Zwischenspiel im Dunkeln

Sie hatten sich um den alten Esstisch in der Tenne platziert. Isa und Emil jeweils an den Längsseiten, Jasper an der Stirnseite mit dem Rücken zum Tor. Der große Raum war kaum beleuchtet. Nur etwas abseits von ihnen war eine Stehlampe angeschaltet, deren Lichtkegel auf einen Beistelltisch gerichtet war auf dem eine halb leere Obstschale und ein aufgeschlagenes Buch lagen.  
Zwischen ihnen auf dem Esstisch flackerte zusätzlich eine einzelne Kerze in einem Messingkerzenhalter. Wachs war zu allen Seiten herunter getropft und hatte ein skurriles mehrfarbiges Muster an dem Schaft des Halters gebildet. Jasper hätte gerne etwas von dem Wachs abgebrochen und über der Flamme zum Schmelzen gebracht, aber er riss sich zusammen.  
Er hatte seine Eltern zu diesem Gespräch zu sich eingeladen und hatte nicht vor, ihnen ein Bild seiner Unentschlossenheit zu zeigen.  
 
'Was war jetzt eigentlich genau der Plan gewesen, als ihr damals mit uns auf den Kotheshof gezogen seid? Wenn ich die Einträge aus den alten Düsseldorfer Adressbüchern und dem einen von Krefeld richtig interpretiere, dann sollte wohl auch das Atelier von Oberkassel nach Stratum umziehen. Dazu ist es aber nie gekommen, warum nicht? Was ist passiert?' Jasper hatte sich seine Frage genau überlegt. Zuerst wollte er Isa mit dem Traum konfrontieren, der für ihn Sinnbild seiner emotionalen Leere war. Und Emil wollte er eine Auflistung seiner vergeblichen Versuche, seine Kinder bei fremden Familien oder alleinstehenden Frauen unterzubringen, vor den Latz knallen. Er hatte sich dann aber doch dazu entschlossen, Isa und Emil als Paar anzusprechen. Sie sollten ihm als das gegenübersitzen, was sie für ihn gewesen waren, bevor ihre Wege sich trennten, seine Eltern. Nicht 'Isa' und 'Emil' wie sie es bei ihren Kindern von klein auf durchgesetzt hatten, sondern seine Eltern, Mama und Papa. Sie hatten sich so vehement dagegen verwahrt für ihre Kinder das zu sein, was Eltern für alle anderen Kinder zu sein schienen, dass Jasper sich und seinen Schmerz kaum artikulieren konnte. Wenn er seiner Lehrerin an der Montessorischule schluchzend mit stockendem Atem unter einem kaum versiegendem Strom von Tränen erzählte, dass Isa und Udo in einem Bett schliefen und Emil gar nicht mehr nach Hause gekommen war, so sprach das für ihn eine ganz klare Sprache. Frau Wilms war sich der Besonderheit der Eltern Fengler bewusst, die so außerordentlich viel Wert darauf legten, von ihren Kindern beim Vornamen angeredet zu werden, aber als Jasper sich ihr anvertraute, brachten seine Worte bei ihr keine Saite zum Schwingen. Der überwältigende Gefühlsausbruch im Zusammenklang mit den seltsam distanziert anmutenden Namen erzeugte eine solche Dissonanz, die dazu führte, dass sie Jasper nicht mitfühlend in den Arm zu nehmen vermochte und die tröstenden Worte ihr nicht wie selbstverständlich über die Lippen gingen.
19.12.2023 - 1:54:18