Rheinallee | 3

Seinen vierten Geburtstag verbrachte Jasper, wie prophezeit, im Krankenhaus. Montags war für gewöhnlich keine Besuchszeit, aber nachdem Jasper gute Fortschritte mit dem Laufen lernen gemacht hatte und absehbar war, dass er demnächst entlassen werden konnte, erlaubte die Schwester Oberin seiner Mutter eine Viertelstunde bei ihm zu bleiben. Jasper hatte nur einen Wunsch zu seinem Geburtstag gehabt, er wollte Erdbeeren essen, frische Erdbeeren. Isa wollte ihn nicht enttäuschen und brachte zumindest eine Dose mit. Auf dem Etikett waren saftig rote Früchte abgebildet und Jasper hätte die Konservendose am liebsten sofort geöffnet. An einen Öffner hatte Isa auch gedacht, doch als die Schwester kam um zu sagen, dass die Besuchszeit nun vorüber sei, musste Jasper die Erdbeeren und den Dosenöffner abgeben. Das sei viel zu gefährlich, der Junge könnte sich dabei ja an den scharfen Kanten schneiden, sagte die Schwester und sah Isa dabei missbilligend an. Isa hätte gerne geantwortet, es dann aber gelassen, weil sie wusste, dass jegliche Diskussion nichts geändert hätte. Sie konnte nur zusehen, wie Jasper enttäuscht die Schultern hängen ließ, und ihm einen kurzen Kuss geben, dann wurde sie hinauskomplimentiert und Jasper war wieder allein.  
 
Er hatte wieder Laufen gelernt, langsam, als hätte er es nicht schon gekonnt.  
Nachdem ihm der Gipsverband abgenommen worden war, hatte Schwester Elisabeth ihn zu einer der Wannen getragen. Warmes Wasser hatte sie schon einlaufen gelassen und es fühlte sich wundervoll an, hineinzugleiten. Das Wasser war klar, nur ein paar Wellen kräuselten die Oberfläche, so konnte er seine beiden Beine gut sehen. Es war nichts zu erkennen, keine Narbe, kein Zeichen, das gesagt hätte 'ich war gebrochen' oder 'vor Kurzem war ich noch kaputt'.  
Die Krankenschwester hatte ihre Ärmel hochgekrempelt und begann, ihn einzuseifen. Das kitzelte. Besonders an dem Bein, welches die letzen Monate ruhiggestellt war. Jasper mochte das Gefühl und genoss es. Nach dem Bad durfte er noch eine Weile im Bademantel auf einer Bank verharren, dann nahm Schwester Elisabeth ihn am Arm und er sollte versuchen aufzustehen. Er knickte sofort wieder ein und hätte ihn die Schwester nicht festgehalten, wäre er auf den gefliesten Boden gefallen. Seinen Arm weiterhin umklammernd ging sie ein paar Schritte mit Jasper von der einen Wanne zur nächsten und machte dort wieder halt. Das sollte zunächst genug sein, sagte sie. Ab jetzt würde er aber jeden Tag Gehübungen machen müssen. Schließlich sollte er doch bald wieder nach Hause kommen.
26.01.2023 - 22:38:56