Kotheshof | 1
Treffpunkt waren die Kaugummiautomaten auf der gegenüberliegenden Seite vom Bäcker. Die Strassenseite war einfach die bessere, weil sie so schneller zur Puppenburg laufen konnten, wo sie sich nachmittags meist aufhielten, aber trotzdem noch in Sichtweite der Ecke waren, die zur Schule führte. Gegenüber der Schule und bei St. Andreas wohnten nur noch Johannes und Ruth und die waren es gewohnt über die Düsseldorfer Strasse gerannt zu kommen.
Zuerst standen nur Sebastian und Thomas an den Automaten und überlegten, ob sie es mit ihren letzten Groschen noch einmal versuchen sollten das kleine Taschenmesser herauszubekommen. Falls sie nur eine Kaugummikugel bekämen, wäre es nicht so schlimm, aber beim letzten Versuch hatte Achim den Plastikring erwischt und das war nun wirklich zu blöde. Den hätte er nur Anita geben können, aber das traute er sich dann doch nicht, also warf er ihn später in den Oelvebach und hoffte, dass die anderen dicht halten würden.
Claudia und Sabine hatten beide schon einen Ring von Johannes bekommen und steckten ihn sich auf den Ringfinger, wenn sie sich trafen, Claudia links und Sabine rechts, was bedeutete dass sie unzertrennlich waren. Zu Hause versteckten sie ihre Ringe schnell in der Kommodenschublade mit den Puppenkleidern. Hätte ihre Mutter sie mit den Ringen erwischt, hätte es Ärger gegeben.
Sebastian hatte sein letztes Geldstück geopfert, hatte aber kein Glück gehabt und lutschte gerade den blauen Zuckerbelag von seinem Kaugummi, als Claudia und Sabine sich vom Stratumer Feld aus näherten. Ruth wartete noch am Fahrbahnrand um den Bus an sich vorbeizulassen, bevor sie Strasse schnell überquerte. Es fehlten nur noch Achim, Anita und natürlich Johannes. Bevor Johannes nicht eingetroffen war, brauchten sie überhaupt nicht beratschlagen, was zu tun sei. Er hatte bestimmt schon eine Idee und einen Plan, wie sie vorgehen sollten.
Sie hatten den blauen Pritschenwagen zwar nicht selber gesehen, aber genug aufgeschnappt um zu wissen, dass da welche aus Düsseldorf im Kotheshof einziehen sollten. Dabei wohnten da ja schon die Polen. Wie deren Sohn hieß wussten sie nicht, aber der war komisch und konnte nicht richtig reden. Wenn der den Mund aufmachte, hörte es sich an als würde eine Ziege meckern, außerdem war er schon zu alt für die Schule und kam nur in Begleitung seiner Mutter raus. Den Vater hatten sie noch nie richtig zu sehen bekommen. Was also wollten die aus Düsseldorf dort. Es hatte geheißen sie wären Künstler oder so. Doch das wollte Johannes nicht gelten lassen. Wer freiwilig da oben auf dem Kotheshof hausen wollte, musste schon eher ein Vagabund sein und etwas zu verheimlichen haben. Sie würden es schon herausfinden.
Als Johannes schließlich kam, etwas von 'seinem Vater im Garten helfen' faselte und alle begrüßt hatte, waren sie gespannt, was er vorschlagen würde. Er wollte in Erfahrung gebracht haben, dass die Düsseldorfer in einem ausländischen Auto am Vormittag die Heulesheimer hochgefahren waren und Kinder dabei gehabt hätten. Kinder! Wieviele war nicht herauszukriegen gewesen, auch nicht welches Alter, ob Jungs oder Mädchen.
Sie konnten schlecht direkt zum Kotheshof gehen und nachfragen, dann hätte sie jeder sehen können und hinter der Puppenburg war verboten. Die einzige Möglichkeit war, am Oelvebach entlang zu schleichen und sich von der Rückseite durchs Gestrüpp zu kämpfen. Das konnten sie aber nicht als Gruppe. Die Erwachsenen würden etwas merken. Also schlug Johannes vor, dass sie sich wie üblich zur Puppenburg aufmachen sollten, an der Brücke vorgeben würden Verstecken oder so etwas zu spielen, während zwei sich heimlich entfernten und als Späher auskundschaften sollten, was auf dem Kotheshof vor sich ging. Anita und Achim fehlten zwar noch, wenn sie aber sowieso ihren üblich Platz aufsuchten, würde es nicht lange dauern, bis die beiden sie fänden.
Hinter dem Oelvebach war Stratum zu Ende und dort hatten sie eigentlich nichts zu suchen, aber sie waren auch schon für Johannes und Anita von ihrer alten Devise abgekommen nur Stratumer aufzunehmen. Sie saßen ja sowieso alle in einer Klasse auf der anderen Seite der Strasse hatten sie beschlossen und nachdem sie in Heimatkunde alles über Gelbunda und die Römer und Bataver erfahren hatten, waren sie übereingekommen, dass es besser wäre zusammenzuhalten. Die alten Stratumer unter ihnen waren auch ganz froh, dass die eher unbedeutende Rolle ihres Dorfes nicht weiter hervorgehoben wurde. Es reichte ja, wenn Johannes zu ihrem Anführer geworden war, obwohl er gar nicht aus Stratum kam.
22.02.2023 - 20:57:22